Page 41 - OSP Einblicke 2-2022
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OSP-PODCAST „HELDEN DER HAUPTSTADT“
Plötzlich im Scheinwerferlicht
Julian Weber ist mit dem EM-Titel aus dem
Schatten der starken deutschen Speerwerfer-Riege
getreten. Jetzt will er die 90 Meter angreifen.
Das Selbstbewusstsein ist gewachsen. Die magi- einfach nur gewinnen kann, der befreit werfen
schen 90 Meter werden es sein. Im kommenden kann.“ Der Druck war groß, das hatte der Sport-
Jahr. Da ist sich Julian Weber sicher. „Das habe soldat schon bei der WM schmerzlich zu spüren
ich gefühlt seit 2017 drin“, sagt der 28-Jährige. Er bekommen.
konnte es nur nie abrufen, weil sein Körper immer
wieder streikte. „Ich war einer der wenigen Medaillenkandidaten,
und da habe ich gemerkt, dass es gar nicht mehr so
In diesem Jahr war das anders. 2022 erlebte der einfach ist, wenn man diesen Druck spürt. Das hat
Speerwerfer das beste Jahr seiner bisherigen mir die Medaille bei der WM geklaut“, sagt er. Vor der
Karriere. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft WM hatte Weber mit 89,54 Metern noch seine neue
im Juli in Eugene musste er sich noch mit dem un- persönliche Bestmarke aufgestellt. Eine Weite, an die
dankbaren vierten Platz zufrie- er in den USA nicht herankam.
dengeben. Knapp vier Wochen 86,86 Meter – mehr als ein Meter
später stand der Mainzer, der fehlte zu einer Medaille.
mittlerweile in Berlin lebt und in Dieser vierte Platz war einer zu
Potsdam trainiert, ganz oben auf viel. Schon bei den Olympischen
dem Siegerpodest. Spielen in Tokio im vergangenen
Jahr war der Speerwerfer neben
Bei der Europameisterschaft in dem Podium gelandet, mit 14
München wollte Weber eigent- Zentimetern Rückstand auf Rang
lich gar nicht an den Start gehen, drei. „Dieser verfluchte vierte
die Schulter zwickte, das Ein- Platz, das will ich einfach nicht
werfen musste er abbrechen. In mehr“, sagt Weber mit Nach-
der WhatsApp-Gruppe mit seiner druck. Die WM führte zu einem
Familie schrieb er vor dem Wett- Umdenken. Zusammen mit einer
kampf, dass sich seine Lieben Sportpsychologin am OSP in
besser keine großen Hoffnungen Berlin arbeitet der Leichtathlet an
machen sollen. „Ich glaube nicht, dass das heute seiner mentalen Stärke. Daran, besser mit Druck und
funktioniert“, textete er. Doch es funktionierte über- Erwartungen umzugehen. Auch das Vertrauen in den
aus gut. Es war „my time to shine”, erzählt Weber in eigenen Körper ist Thema. Nach diversen Fuß-Ope-
der neuen Folge „Helden der Hauptstadt“, dem Pod- rationen, einer Ellbogen-OP und Schulterverletzungen
cast des Olympiastützpunktes Berlin (OSP) und der soll nach 2022 das zweite verletzungsfreie Jahr
Berliner Morgenpost. Der Speerwerfer krönte sich folgen.
zum Europameister. Und wurde dafür jüngst auch
Dritter bei der Wahl zu Berlins Sportler des Jahres. „Ich hab mir seit der Europameisterschaft sehr viel
Zeit gelassen, meinen Körper ausgeruht, die Rei-
Weber hat es in diesem Jahr geschafft, aus dem zung ausheilen lassen“, erklärt Weber. „Aber jetzt
Schatten der starken deutschen Speerwerfer-Riege hab ich auch wieder richtig Bock.“ Neue Ziele war-
zu treten. 2017-Weltmeister Johannes Vetter, Rio- ten darauf, umgesetzt zu werden. Die WM in Buda-
Olympiasieger Thomas Röhler und der EM-Zweite pest im kommenden Jahr, die Olympischen Spiele
von Berlin Andreas Hofmann – das Trio, das die in Paris 2024. Weber weiß:
vergangenen Höhepunkte dominiert hatte, fehlte „Ich habe da noch Rechnungen
verletzt, angeschlagen oder war nicht in Form. offen.“
„Das war ungewohnt, ganz vorn zu stehen“, erzählt
Weber. „Auf der einen Seite habe ich es genossen, Text: Inga Böddeling
auf der anderen Seite ist man nicht mehr der, der Überall, wo es Podcasts gibt.
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