Page 15 - OSP Einblicke 2-2020
P. 15
Wie war der Übergang vom Leistungssport in die Zeit dann gäbe es auch mehr Nachwuchsfahrer. Der Sport geht
danach? einfach sehr schnell ins Geld. So ein Rennrad von heute kostet
Wenn man mit 18 in der DDR eine Ausbildung zum Instand- gern einmal 1.500, 2.500 Euro. Das ist der Haken für Einsteiger
haltungsmechaniker macht und dann mit 38 – zwanzig Jahre und alle, die es sich nicht leisten können. Da gibt es sicherlich
später – ins Berufsleben einsteigt, ist das schon eine gewal- Nachholbedarf.
tige Herausforderung. Ich habe damals das Angebot bekom-
men, an einem Trainee-Programm zum Objektleiter bei einem Du hast bereits vor der Wende große Erfolge gefeiert und
Krankenhaus-Logistik-Unternehmen teilzunehmen. Ein span- gehörst mit dem Bahnradvierer zu den ersten gesamt-
nender Job. Nur: Aus einem Jahr in Hamburg wurden drei, deutschen Olympia-Idolen. Wie hast Du als Spitzen-Athlet
dann Stationen in Kiel und Lübeck. Auf einmal war ich mehr rückblickend die wilde Wendezeit wahrgenommen?
unterwegs als im Sport. Ich wollte zurück zur Familie nach Ber- Der große Unterschied für uns „Ossis“ war der Wechsel aus
lin. Also habe ich im Anschluss Transporter verkauft und dann dem umfassenden DDR-Trainingssystem in ein Trainingssy-
in einem Fahrradgeschäft gearbeitet. Jetzt bin ich im Außen- stem, in dem man sehr schnell lernen musste, sich selbst zu
dienst für E-Bikes von Gazelle tätig. Das macht richtig Spaß. organisieren. Das hat mich persönlich nicht gestört – ich habe
Ich kann mir den Tag selbst einteilen, bin viel unterwegs, habe immer schon ganz gern selbst entschieden.
aber trotzdem echte Wochenenden mit der Familie.
Im Sommer 1989 bist Du mit dem DDR-
Erkennen Deine Kunden den „Fulle“ und "Den Mauerfall Bahnradvierer Weltmeister in Frankreich
zweifachen Olympiasieger? haben wir in Tune- geworden. War da schon etwas von „Ver-
Einige ja, andere nein. Das ist ganz unter- änderung“ zu spüren?
schiedlich. Und beides überhaupt gar kein sien im Fernsehen Ganz ehrlich: Ich war 18 und habe mir da kei-
Problem für mich. ne Platte gemacht. Im Nachhinein waren na-
gesehen" türlich Veränderungen da. 1988 ist ein Trainer
Profitierst Du heute von dem, was Du im in den Westen geflüchtet, 1989 hat sich eine
Sport gelernt hast? DDR-Radfahrerin abgesetzt. Da wurden dann vor Auslands-
Ja. Wie im Sport geht es auch heute um Ziele. Du versuchst, reisen die Polit-Schulungen intensiviert. Und nach der WM in
diese bestmöglich zu erreichen. Und natürlich profitiere ich Frankreich mussten wir ganz genau beschreiben, wie viel Zeit
noch heute von meinen Kontakten aus dem Sport. Das öffnet wir mit den westdeutschen Sportlern verbracht haben. Den
Türen. Mauerfall haben wir in Tunesien im Fernsehen gesehen, wir
waren im Trainingslager.
Du hast „Guido Fulst and friends“ ins Leben gerufen und
engagierst Dich im Nachwuchs-Radsport ... War die Freude groß – oder eher die Ungewissheit, nicht
In Berlin gibt es wenige Vereine, die sehr gute Nachwuchsar- zu wissen, was jetzt wird?
beit leisten. Die stehen aber allein auch im Regen. Also unter- Ach, das war ganz unterschiedlich. Ich persönlich, fand es
stütze ich sie ohne Verband und gemeinsam mit meiner Frau recht spannend. Ich habe gedacht, jetzt kommen wir als Lei-
aus privaten Stücken – so, wie es bei uns reinpasst. Es geht stungssportler in eine Leistungsgesellschaft. Und wir Bahn-
nicht um das große Geld. Wir wollen für den Radsport begei- radfahrer hatten in Sachen Leistung den westdeutschen Fah-
stern und Hobbyfahrer bewegen, sich im Leistungssport zu rern ja durchaus Einiges voraus.
engagieren.
Auf welchen Moment Deiner Karriere blickst Du am lieb-
Im Internet wird beschrieben, wie Du zum Radsport ge- sten zurück?
kommen bist: „Angefangen hat für den zehnjährigen Zu jeder Medaille gibt es eine Geschichte. Die Goldmedaille in
Guido alles bei einer Talentsuche in der Schule in seinem Sydney ist vielleicht die wertvollste: mein erster Olympiasieg
beschaulichen Geburtsort Drübeck im Harz. Mächtig stolz – mit einer besonderen Zeit. Als erstes Team überhaupt sind
war der Steppke, weil er umsonst ein Fahrrad bekam. Dar- wir damals unter vier Minuten geblieben. Für mich persönlich
um war er auch gleich Feuer und Flamme für die Radfah- wichtig war auch die Bronze-Medaille in Athen 2004. Meine
rerei.“ einzige Olympia-Medaille in einer Einzeldisziplin.
Das steht im Internet? Wahnsinn.
Was war Dein Erfolgsgeheimnis?
Kann man die Jugend von heute noch mit einem ge- Ich habe im Sport immer vor allem den Spaß gesehen. Klar,
schenkten Fahrrad für den Leistungssport begeistern? du willst unbedingt auch Erfolg haben. Keine Frage. Aber du
Wieso nicht. Mit einem Fahrrad könnte man gerade in sozi- darfst den Spaß nie verlieren. Das hat mir geholfen, Höhen
alschwachen Bereichen beim Nachwuchs die Begeisterung und Tiefen zu überstehen. So bin ich all die Jahre gut durchs
für den Radsport wecken. Wenn man mehr Hardware hätte, Sportlerleben gekommen.
15