Wenn Bahnrad-Ikone Robert Förstemann dieses Wochenende beim 110. Berliner Sechstagerennen an den Start geht, wird Thomas Ulbricht ihm vor Ort die Daumen drücken. Seit 2021 sind beide ein Team: als Para-Cycling-Tandem. Förstemann ist der Pilot und Ulbricht als sehbehinderter Sportler sein Stroker. Was sie aneinander schätzen, wo es auch mal kracht und auf was sie hoffen – das erzählen beide im Doppelinterview.
Robert, Thomas, ihr seid seit September 2021 ein Tandem-Team im Para-Cycling. Wie lautet euer Resümee?
Robert: Thomas war als Ex-Leichtathlet ja eine Überraschungskiste für mich. (lacht) Ich hatte ihn angerufen, nachdem mein Tandem-Partner Kai Kruse im September 2021 aufhören wollte. Thomas hatte vorab schon Interesse geäußert und sich entsprechend vorbereitet. Wir kannten uns längst, auch aus dem Kraftraum im OSP Berlin. Und dann sind wir im November 21 das erste Mal zusammen auf der Bahn gefahren. Es war nicht einfach für Thomas, aber der Anfang war gemacht. Fünf Wochen später ging es zu einem internationalen Wettkampf. Über 1.000 Meter wurden wir Zweite und die Zeit war gut, wenn auch nicht überragend. Im Sprint haben wir sogar gewonnen und sind über 200 Meter fast Rekord gefahren! Da war Thomas erst fünf Wochen auf der Bahn. In Paris sind wir dann 2022 bei der Cycling-WM Zweite im Tandemsprint und Dritte über 1.000 Meter Tandem geworden. Das war ein super Ergebnis für die elf Monate, die wir gerade Mal zusammen gefahren sind. Eine Medaille war auch für unsere weitere Finanzierung wichtig, die musste sein. Ich bin also zufrieden.
Thomas: Für mich war klar, dass ich, wenn ich einen Top-Piloten vor mir habe, auch Top-Zeiten fahren will. Ich hatte immer Bock auf den Sport. Kurz vor der WM hatte ich dann allerdings ein extremes Formtief und die ersten Zweifel. Ich konnte mich aber wieder hochfahren und auch meine Startprobleme wurden besser. Ich bin alles in allem zufrieden.
Was macht ein gutes Team im Tandem-Sport aus?
Robert: In erster Linie blindes Vertrauen. Dadurch, dass Thomas nicht viel sieht, braucht er natürlich absolutes Vertrauen in meine Fahrkünste vorn als Pilot. Er setzt meine Anweisungen dafür super um. Wenn ich sage, gib Gas, dann macht er das. Ich würde sagen, das ist unsere Stärke, und deshalb sind wir auch 2022 Vizeweltmeister geworden im Tandemsprint.
Wo seht ihr weitere Stärken bzw. Schwächen?
Thomas: Roberts Stärken sind seine übermenschliche Power und sein Siegeswille. Meine Stärke ist, dass ich leichter bin und mich kleinmachen kann hinter Robert, wenn es notwendig ist. Außerdem zählt mein Wille, erfolgreich zu sein als Tandem. Meine Schwäche ist das Anfahren, da muss ich schneller werden. Auch nach 40 Sekunden noch Gas geben zu können wie Robert, vielleicht 15 Sekunden länger – das ist mein Ziel.
Robert: Meine Schwäche ist meine Ungeduld. Ich mag es, wenn sich Entwicklungen schnell abzeichnen, also schon im Training und nicht erst im Wettkampf. Meine Stärke ist, dass ich damit umgehen kann, wenn es anders kommt. Ich halte mich für mental sehr stark.
Thomas: Mich stresst deine Ungeduld allerdings schon manchmal.
Robert: Leistungssport ist das Härteste, was du je gemacht hast. Das habe ich dir auch gesagt. (lacht)
Welche Ziele verfolgt ihr bis Paris 2024 und wie motiviert ihr euch?
Robert: Wir wollen auf alle Fälle Bestleistungen fahren und bei der WM dieses Jahr in Glasgow eine Medaille sowie die ersten Punkte holen für die Qualifikation zu den Paralympics in Paris 2024. Allein dieses Ziel motiviert uns jedes Jahr aufs Neue. Im Bereich Technik wollen wir uns in der Beschleunigung weiterentwickeln, da habe wir noch Luft nach oben.
Thomas: Meine Motivation ist ganz klar, besser zu werden in allen Bereichen, ob nun Antritt, Kraft oder Ausdauer. Alles das soll uns weiter nach vorn und in der Zeit unter eine Minute bringen.
Habt ihr ein Trainings-Motto?
Robert: „Augen zu und durch“, aber ich glaube, das passt nicht. (lacht)
Thomas: Vielleicht eher „Mach jetzt mal!“ Das höre ich öfters von dir.
Wird auch mal gestritten?
Thomas: Ich hatte selten so viel Krach wie im letzten Jahr. (lacht)
Robert: Wir zoffen uns regelmäßig, das gehört aber dazu und ist wichtig, da es Entwicklung bedeutet. Thomas ist eher ein Harmoniemensch, macht aber mit. Nach der WM war ich entspannter, weil ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Er ist ein Sportler durch und durch und kümmert sich. Das verbindet uns. Wir leben den Sport, das schweißt uns zusammen und führt uns zum Erfolg. Ja, wir sind eine Einheit, das sieht man auf dem Rad und auch im Training.
Thomas, du arbeitest Teilzeit in der Bundesanstalt für den Digitalfunk. Robert, du bist seit 2022 Vizepräsident des Berliner Radsportverbands. Wie kommt ihr mit der Zweitbelastung klar?
Thomas: Ich habe keine Förderstelle, bin aber zu 50 Prozent freigestellt. Da merke ich schon, dass alles gut getaktet werden muss. Vormittags haben wir in der Regel unsere Haupttrainingseinheit, nachmittags Regeneratives und von 15 bis 18 Uhr arbeite ich, das aber meist im Homeoffice.
Robert: Ich muss ähnlich wie Thomas viel eintakten. Aber ich arbeite nur 5 Wochen im Jahr bei der Polizei, den Rest bin ich für den Leistungssport freigestellt.
Was sind eure sportlichen Etappen bis Paris 2024?
Thomas: Vom 3. bis 8. August sind wir bei der WM in Glasgow.
Robert: Es ist eine WM mit Para-Cycling und normalem Bahnradsport, also eine tolle Inklusion von beidem. Ich finde, dass auch die Paralympischen Spiele mit den Olympischen Spielen zusammengelegt werden sollten. Aber gut. Auf dem Weg zur WM wird viel trainiert und an unserer Entwicklung gearbeitet. Thomas war lange krank und hat einiges aufzuholen. Unsere Beschleunigungsphase muss auch besser werden. Bei der WM wollen wir unsere Leistung bestätigen und unsere persönliche Bestzeit verbessern. Im Para-Cycling gibt es aber nicht so viele Wettkämpfe. Durch meine Kontakte aus dem olympischen Bereich versuche ich, uns bei mehr Wettkämpfen und auch Lehrgängen reinzubekommen.
Was muss für die Olympischen Spiele 2024 noch alles getan werden?
Robert: Vorab: Wir sind durch unsere Medaillen im Paralympics-Kader, dadurch sind wir aber noch nicht für Olympia gesetzt.
Thomas: Wir müssen uns Punkte z.B. bei Weltmeisterschaften erfahren, dafür gibt’s dann Slots und die gehen aufs Konto der Deutschen Radsport-Mannschaft. Dann entscheidet der Bundestrainer.
Und wie steht es um eure Konkurrenz?
Robert: Im Moment sind das Großbritannien und Frankreich. Erstere haben sehr gutes Material und sind wirklich schnell. Dahingehend müssen wir uns auch entwickeln – zu besserem Material. Frankreich holt auf und hat dann 2024 auch noch ein Heimspiel …
Ärgert es euch, dass der Sprint noch kein Bestandteil des paralympischen Radsport-Programms ist?
Robert: Das ist schon schade, weil es uns Spaß macht und noch mehr liegt als die 1.000 Meter, aber es ist nun mal so.
Thomas: Genau. Wir sind im Sprint recht stark, vor allem, weil wir aus der Fahrt heraus den besten Antritt haben. Schön ist, dass wir zumindest bei der WM auch die 200 Meter fahren und zeigen können, wie gut wir sind.
Ihr seid inzwischen 36 und 37 Jahre alt. Wie lange gedenkt ihr noch zu fahren?
Robert: Das sind brutale Zahlen, aber Claudia Pechstein zieht ja auch noch ihre Kreise. (lacht) Aktuell läuft es. Wir schauen erstmal bis Paris und wenn wir da keine Medaille holen, wird’s so oder so schwierig.
Jetzt bist du Ende Januar erst einmal beim Berliner Sechstagerennen am Start…
… und freue mich riesig darauf. Das Event gehört zu Berlin wie die Currywurst. Dass es über drei Tage statt sechs geht, ist für mich gar nicht so schlecht. Ich habe durch mein Praktikum bei der Bundespolizei etwas Zeit verloren und gut zu tun, die Kraft vom Tandem für den Sprint wieder in Schnelligkeit umgewandelt zu bekommen.
Interview: Cäcilia Fischer